Ich finde diesen Film, der ein Experiment der Widersprüchlichkeiten, gewollten Anschnittfehler, Paradoxien und Unbeweisbarkeiten zu sein scheint, erstaunlich kohärent. Mann trifft Frau, begehrt Frau, sie entzieht sich halb, halb gibt sie sich hin, sie entschwindet, stirbt oder hat niemals existiert, er sucht sie, er findet sie in anderen, er findet sie selbst, doch nie kann er sich sicher sein. Dies ist die Geschichte jeder Liebe, die nicht ganz und gar konformistisch ist.
Die Frau sagt, sie wohnt in Vifakishlemezjitokayoliedokuz und erklärt sich bereit, dem Mann diese Adresse aufzuschreiben. Sie schreibt in seinen Taschenkalender, dann reißt sie die Seite heraus und wirft sie in den Wald. Als der Mann Wochen später – alle anderen Fährten führten ins Nichts – diesen Zettel sucht, findet er ihn, aber er ist völlig unbeschriftet. Das Datum dieser verwaisten Kalenderseite ist (Verschwörungstheoretiker aufgemerkt) der Dreiundzwanzigste.
Ich frage mich, ob es möglich ist, einen heterosexuell erotischen Film aus der Perspektive eines Mannes zu inszenieren – ohne eine einzige Frau. Robbe-Grillet bringt es fertig, die Atmosphäre dermaßen aufzuladen, dass man kein Fenstergitter mehr sehen kann, ohne dahinter schöne Sklavinnen zu wittern, die den perversen Gelüsten ihrer Herren vollkommen ausgeliefert sind. Man muss kein praktizierender Sadomasochist sein, um sich in Robbe-Grillets Welt zurechtzufinden, aber es hilft, wenn man genügend Fantasie besitzt, sich in Szenarien der lebensbedrohenden Inbesitznahme zumindest einfühlen zu können.
Natürlich ist es angenehm für den Anfänger in diesen Dingen, die Bauchtänzerin bei ihren pelvischen Verrichtungen beobachten zu können, Francoise Brion beim Angezogensein, beim Halbentkleidetsein, beim Gehen, beim Atmen, beim Duften zuzuschauen. Sowie den anderen Frauen, die dann ihren Platz einnehmen, und unsere Sehnsucht ebenfalls tragen wie etwas, das zwar einer anderen auf den Leib geschneidert wurde, das aber immerhin halbwegs passt. Nicht ganz nebenbei bemerkt: „L’Immortelle“ heißt „die Unsterbliche“, nicht „der Unsterbliche“, wie der deutsche Verleihtitel behauptet. „Der Unsterbliche“ ergibt in diesem Film gar keinen Sinn, ich fürchte, die deutschen Verleiher haben ihn nicht verstanden. Es geht ums Ewigweibliche, nicht ums Ewigmännliche.
Nichts Antikes ist in L’IMMORTELLE authentisch. Alles scheint verbilligter Ramsch zu sein. Gleichzeitig ist alles im Verfall begriffen. Paläste sind ausgebrannte Bühnen, Schiffe liegen versunken im Hafen, Moscheen zerbröseln. Es ist beinahe dieselbe Sightseeingtour durch Istanbul, auf die uns auch das im selben Jahr gedrehte zweite James-Bond-Abenteuer FROM RUSSIA WITH LOVE/LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU mitnimmt, aber was dort pittoresk und gefahrvoll aufwühlend ist, ist hier nur noch morbide. Dort ist die männliche Hauptfigur ein viriler Tausendsassa, hier ist er nicht nur schläfrig, sondern geradezu somnambul. Hätte man Bond sehr, sehr viele Downer in den Martini geschüttelt, würde er vielleicht so triefäugig durch die Stadt schlurfen und sich andauernd selbst begegnen wie Robbe-Grillets Protagonist. Aber beide Filme ergänzen einander, auch durch Farbe und Schwarz-Weiß. Zusammen ergeben sie ein kompletteres Bild davon, wie die Unsterblichkeit beschaffen ist.
Übrigens sind phallische Grabsteine eine faszinierende Idee. Als würden die Toten uns Lebenden ein letztes Bedürfnis entgegenrecken. Aber wir erfahren in L‘IMMORTELLE, dass unter diesen Steinen niemand liegt, und dass sie später zum Straßenbau verwendet werden, sodass wir alle auf ihnen herumtrampeln, als könnten wir Begehren nur respektieren, wenn es unser eigenes ist.